Lübeck – Was bedeutete das Exil für die Familie Mann?

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Redakteur
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Was bedeutete die Flucht aus Deutschland für Thomas Mann und seine Angehörigen? Um diese Frage geht es in der neuen Sonderausstellung Fremde Heimat. Flucht und Exil der Familie Mann, die ab dem 12. Juni im Buddenbrookhaus in Lübeck zu sehen ist. Im Rahmen eines Pressetermins wurde sie am heutigen Vormittag der Öffentlichkeit vorgestellt.

Foto /Presse Lübecker Museen

„Das Thema der fremden Heimat und der Heimat in der Fremde ist hochaktuell. Angesichts der vielen Menschen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten zu uns kommen, angesichts von Kriegstraumata, Existenzangst und Heimweh, stellen sich vielerorts dieselben Fragen, wie zur Zeit des Exils der Familie Mann ab 1933: Wie bewahrt man sich seine Heimat in der Fremde? Wie macht man den neuen Lebensort zur Heimat? Wie kann man die Entwurzelung, das Herzasthma des Exils, wie es Thomas Mann nennt, heilen?“, verdeutlichte Museumsleiterin Dr. Birte Lipinski den Hintergrund der Schau und fügte hinzu: „Der Blick in die Vergangenheit hilft beim Verständnis der gegenwärtigen Problematik. Und vielleicht kann das Fremde ein Anreiz sein, andere Perspektiven einzunehmen und damit einen Zusammenhalt schaffen, der nicht auf Gleichheit beruht, sondern auf Interesse am Anderen.“



Fremde Heimat erzählt die Exilgeschichte der Familienmitglieder zwischen 1933 und 1952. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler am 30. Januar 1933 flohen die Manns vor den Nationalsozialisten ins europäische Ausland und dann, als sich in Europa die Lage zuspitzte, in die USA. Aufgrund ihres öffentlichen Engagements gegen die Nationalsozialisten wurden Heinrich, Klaus und Erika Mann sowie Thomas Mann, seine Frau und seine vier jüngsten Kinder ausgebürgert, sie verloren ihre Staatsangehörigkeit. 1937 emigrierte Erika Mann als erste in die USA; 1938 folgen ihr ältester Bruder Klaus sowie Thomas und Katia Mann mit Elisabeth und Michael. Als Europa im Krieg versank, flohen auch Heinrich, Golo und Monika Mann in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Fluchtwege der Manns waren zum Teil nicht weniger gefährlich als die heutigen: Nur mit Hilfe des ‚Schleppers’ Varian Fry gelang Heinrich und Golo Mann die rettende Flucht über die Pyrenäen; das Fluchtschiff von Monika Mann wurde torpediert und ging unter. Ihr Mann verlor dabei sein Leben. Im Exil blieb die Familie Mann – auch dies der aktuellen Flüchtlingssituation ähnlich – auf Unterstützung angewiesen, um nicht zuletzt finanziell über die Runden zu kommen. Doch in den USA fanden die Manns keine Heimat und sie verließen die Staaten in Richtung Europa. Eine Rückkehr nach Deutschland nach dem Krieg stand jedoch außer Frage, Deutschland war zur Fremde geworden.

In vier Stationen verfolgt die Sonderausstellung die ganz unterschiedlichen Wege und Erfahrungen der Familienmitglieder sowie ihren antifaschistischen Kampf gegen Hitler und das Regime der Nationalsozialisten. Dabei ist die Vermittlung von historischen Fakten dem persönlichen Blick der Manns nachgeordnet. Aus gegenwärtiger Perspektive wissen wir, dass die Schreckensherrschaft Hitlers 13 Jahre dauerte – deshalb erscheint die Emigration als selbstverständlicher Schritt. Den Besuchern soll hingegen die Möglichkeit geboten werden, sich in die Exilanten und Geflüchteten einzufühlen und zu verstehen, auf welchen Ungewissheiten die Entscheidung zur Emigration beruhte.

Begleitet werden die historisch-biografischen Stationen von vier Literaturinseln, die sich mit „Mario und der Zauberer“, und dem Roman „Doktor Faustus“ von Thomas Mann, mit Klaus Manns Roman „Mephisto“ und Heinrich Manns „Die Jugend des Königs Henri Quarte“ befassen.

Anna-Lena Markus ist Kuratorin der Ausstellung. Sie erklärte: „Wir betrachten die Ausstellung auch als spannendes Experimentierfeld im Hinblick auf die neue Dauerausstellung, die im Buddenbrookhaus entstehen wird. Wir wollten die Geschichte und Literatur der Familie auf ungewöhnliche Art erzählen und dabei ausloten, wie man Biografie, Zeitgeschichte und Literatur auf neue Weise in den Raum übersetzen kann.“ Im Rahmen des von der Commerzbank-Stiftung geförderten Projekts „Literatur als Ereignis“ waren auch zwölf Schülerinnen und Schüler der Grund- und Gemeinschaftsschule St. Jürgen an der Ausstellungskonzeption beteiligt. Die Jugendlichen haben sich intensiv mit dem Themenbereich „Flucht und Exil“ auseinandergesetzt und vier Ausstellungsmodule eigenständig konzipiert und umgesetzt. Stets haben sie dabei den Gegenwartsbezug für die Ausstellung im Blick behalten. Sinn und Ziel des Projekts ist es, Jugendliche als Experten für die eigene Besuchergruppe ernst zu nehmen, sie an die kuratorische Arbeit heranzuführen und ihnen eigene Aufgaben zu übertragen. Der Schüler Marten Krienke brachte seine Erfahrungen so auf den Punkt: „Je länger wir hier sind, desto besser wird es. Das Projekt wächst mit uns, wir bringen das Ganze voran.“ Für ihr Engagement erhalten alle beteiligten Jugendlichen ein Zertifikat von Astrid Kießling-Taskin, Vorstand der Commerzbank-Stiftung.

Gestaltet wurde die interessante Schau von dem jungen Team „drej“ aus Hamburg und Kiel, das aus Astrid Becker, Anna-Maria Bandholz und Rieke Gloy besteht, und dem Grafikdesigner Marco Störmer, der ebenfalls aus Hamburg kommt.

Vernissage

Eröffnung der Ausstellung am 11. Juni um 18 Uhr durch Stefan Schmidt, Beauftragter des Landes Schleswig-Holstein für Flüchtlingsfragen.

Einführung durch Dr. Birte Lipinski, Leiterin des Buddenbrookhauses, und Kuratorin Anna-Lena Markus. Lesung der ›Writers in Exile‹ Najet Adouani und Erik Arellana Bautista (PEN-Club). musikalische Begleitung durch Rami Faisal (Geige), Murat Tosun (Baglama) und Joao Pedro Martinho Tome (Gitarre).

Anschließend Empfang im Buddenbrookhaus und Gang durch die Ausstellung.

Eintritt: 7 Euro, erm. 3,50 Euro

Dialogische Führungen

Samstag, 9. Juli, 10.September, 12.November, jeweils 14 Uhr in Dari, Farsi und Deutsch. Erwachsene / Ermäßigte / Kinder: 11 / 7,50 / 6,50 Euro; mit Ankunftsnachweis 3,50€

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